Unternehmenskultur im Wandel der Zeit

Ich arbeite wirklich gern und gerne auch viel und ich arbeite in einem Irrenhaus. Das behaupte nicht nur ich, sondern auch Martin Wehrle in seinem gleichnamigen Buch. Er schreibt, als sei er dabei (gewesen). Offenbar erleben alle Firmen einen ähnlichen Kulturwandel. Es beginnt immer mit der Dorfkultur.

Dem Gründer fliegt eine Geschäftsidee zu und er verfällt in Schockstarre, weil sie funktioniert. Dann wird er von einer Arbeitslawine überrollt und braucht fleissige Hände, die ihn wieder ans Licht buddeln. In der Dorfkultur kennt jeder jeden, es gibt kurze Entscheidungswege, die Idee, die morgens auf den Tisch kommt ist nach dem Mittagessen umgesetzt. Eine neue Planstelle entsteht durch den Satz : „ Ich muss jemanden einstellen“ und über Gehaltserhöhungen spricht man in der Kneipe. Die meisten Abteilungen bestehen aus einem Mitarbeiter. Jeder Mitarbeiter weiß, was der andere gerade macht und der Gründer ist nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Personalchef, Prouktionsleiter, Controller und Werbeagentur.

Und dann….bekommt die Firma ein Problem. Der Erfolg läßt sie wachsen Es beginnt die Dschungelkultur… Mehr Aufträge, mehr Mitarbeiter, mehr Büros – mehr Chaos. Der Firmenflur als einziger Dienstweg. Jetzt fehlen die Strukturen. Wofür ist eine Abteilung zuständig, wie fließen  Informationen und wie weit gehen Entscheidungsbefugnisse – nichts ist geregelt.

In der Dorfkultur arbeiten alle miteinander, in der Dschungelkultur alle aneinander vorbei. Das Chaos geht weiter. Wenn ein Mitarbeiter morgens nicht am Platz ist, werden lang und breit Überlegungen angestellt, ob er krank, im Urlaub oder gestorben ist. Einen offiziellen Dienstweg, wie z.B. Urlaubsanträge gibt es nicht. Telefonnummer? Hatte niemand parat, Postanschrift?…er war gerade vor einigen Wochen umgezogen. Kündigung? Eine offizielle Kündigung hat er nicht  für nötig gehalten, die Geschäftsführung eine Information an Mitarbeiter ebenfalls nicht.

Die einzige Ordnung im Chaos: Die Teilung der Firma in eine Zweiklassengesellschaft: Die Oberschicht, das sind die, die schon immer dabei waren. Sie stehen an der Spitze, auch mit ihren Gehältern. Die Unterschicht besteht aus allen, die später dazu gekommen sind, Sie dienen der Oberschicht.

Die Oberschicht hält zusammen, alle Entscheidungen, die über die Anschaffung eines Bleistifts hinausgehen werden gemeinsam beschlossen. Die Neuen sind verzweifelt. Dort, wo sie einen Dienstweg vermuten, ist nichts

Der Dschungel überwuchert den Erfolg. Nun wird es gefährlich.

Es entwickelt sich die Stadtkultur. Wenn die Schäden dann jeder sieht, wenn Rechnungen nicht gestellt werden, Gehälter zu spät bezahlt und erste Mitarbeiter in den Wahnsinn getrieben wurden, zum Heulen gebracht oder als Sündenbock vom Hof gejagt wurden – dann kommt die Erkenntnis: Wir brauchen Regeln!

Bis dahin wusste man nicht, was der Einzelne denn nun eigentlich macht (kein Stellenprofil), wer Anspruch auf welche Entlohnung hat (keine Gehaltsstruktur) und dass man vielleicht doch eine Personalabteilung oder Buchhaltung braucht. Ein Teil der Pioniere schafft es, die eigne Macht zu erhalten. Einige Pioniere werden degradiert. Das Unternehmen wird anonymer. Man plaudert nicht mehr jeden Tag mit dem Gründer, man spricht nur noch mit dem Abteilungsleiter. Und statt eine Aufgabe von Anfang bis Ende durchzuziehen, laufen die Mitarbeiter nur noch Sprints, ehe sie das Ende ihrer Kompetenz erreicht haben und die nächste Abteilung übernimmt. Mit jeder Regel nimmt die Beweglichkeit der Firma ab. Jeder Vorgang, der komplizierte als das Hochfahren eines Rechners ist, wird zum bürokratischen Prozess. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann verwalten sie sich heute noch – der Kunde macht ein langes Gesicht. Manchmal kommts dann auch zur Wanderkultur. Kommen und Gehen wie im Taubenschlag, ständiger Wechsel der Mitarbeiter. Wer hier arbeitet, will dem Irrenhaus entfliehen. Der Direktor des Irrenhaus erwartet, dass man das Wort *Feierabend* aus seinem Sprachwortschatz streicht. Wer früher nach Hause gehen will und auch noch ein Privatleben hat, wird von allen Seiten beschossen. Komischerweise solidarisieren sich die Mitarbeiter nicht miteinander gegen den Chef. Vielmehr werden sie zu Wachhunden. Da sie selbst Gefangene der Unternehmenskultur sind, können sie offenbar nicht ertragen, dass sich andere mehr Freiheit nehmen. Meist stinkt der Fisch vom Kopf her. Es gibt Unternehmen, da halten es die Mitarbeiter 10 Jahre aus in einer Kulturphase und in einer anderen kaum 10 Monate.

Was ich wirklich glaube:  Je älter ein Unternehmen, desto hartnäckiger setzt es sich fest, desto konsequenter breitet es sich aus und desto schwieriger ist es zu tilgen

Wie ein Baum: Frisch gepflanzt, lässt er sich mit wenig Kraft aus der Erde ziehen. Aber ist er schon zehn Jahre alt, verliert er vielleicht den einen oder anderen Ast  aber lässt er sich nicht mehr bewegen, es sei denn mit der Axt.

Schreibe einen Kommentar